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Handbuch der Rechtsförmlichkeit

Teil B Allgemeine Regeln zur rechtsförmlichen und sprachlichen Gestaltung von Rechtsvorschriften

Abschnitt III Allgemeine Regeln für verständliche Rechtsvorschriften

2 Grundsätze für das Formulieren verständlicher Rechtsvorschriften

    • Rechtsvorschriften sollen nur die für den zu regelnden Sachbereich nötigen abstrakt-generellen Regelungen enthalten.

      Regelungen bestehen aus tatbestandlichen Voraussetzungen und den damit kausal verknüpften Rechtsfolgen (Rechte, Ansprüche, Pflichten, Obliegenheiten, Sanktionen). Zu den Regelungen zählen außerdem generelle Festlegungen des Normgebers (so etwa Begriffsbestimmungen, Festlegungen zur Zuständigkeit, zur Einrichtung und zur Tätigkeit von Behörden und anderen Stellen, zum Inkrafttreten).

      Außerdem enthalten Rechtsvorschriften Elemente, die der Orientierung im Text dienen, wie Inhaltsübersicht und die Überschriften der Gliederungseinheiten etc.

    • Nicht in eine Rechtsvorschrift gehören:

      • allgemeine Zweckbestimmungen bzw. Absichtserklärungen (z. B. Darlegung der politischen Absicht) (siehe auch Rn. 373),
      • Begründungen (z. B. warum der Sachverhalt regelungsbedürftig ist und warum er so und nicht anders geregelt wurde),
      • Beschreibungen ohne Regelungsgehalt,
      • Wiederholungen von Regelungen übergeordneten Rechts.

      Ausführungen dieser Art vermitteln die Überlegungen und Absichten, die hinter den entworfenen Regelungen stehen; sie gehören bei Entwürfen der Bundesregierung in das Vorblatt und in die Begründung (§ 43 GGO).

      Fehlbeispiel - überflüssige Zweckbestimmung:

      Zweck dieses Gesetzes ist die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser, um eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen, eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhäusern zu gewährleisten und zu sozial tragbaren Pflegesätzen beizutragen.

    • Wer eine Regelung verständlich formulieren will, sollte wissen, an wen sie sich richtet.

      Rechtsvorschriften sind stets an mehrere, oft sehr unterschiedliche Adressaten gerichtet. Dies sind immer die beruflichen Rechtsanwender (z. B. in Behörden, Gerichten, Unternehmen), aber auch Laien (Rn. 243).

      Zunächst ist fachlich und juristisch zu klären, wer durch eine Regelung berechtigt oder verpflichtet ist oder in irgendeiner Weise betroffen sein kann. Dazu gehören diejenigen (natürlichen und juristischen) Personen, die im Regelungstext als Handelnde, Berechtigte, Verpflichtete oder sonstige Betroffene erscheinen sollen (z. B. Nutzer, Antragsteller, Verwandte ersten Grades, der Netzbetreiber, das Nachlassgericht).

    • Wenn für eine Rechtsvorschrift ein hauptsächlich betroffener bzw. fachlich eingrenzbarer Adressatenkreis festgestellt wurde, soll dessen Perspektive auf den zu regelnden Bereich eingenommen werden. So kann sich etwa die Abfolge von Regelungen an den typischen fachlich bedingten Handlungsabläufen orientieren: Aus der Sicht des Handlungsträgers „Gericht“ ist z. B. der Ablauf des Gerichts- und Vollstreckungsverfahrens maßgeblich für die Gestaltung der Zivilprozessordnung.

      Im Fokus der Formulierungsarbeit sollten diejenigen Adressaten stehen, die durch eine Regelung berechtigt oder verpflichtet werden bzw. zum Handeln – Tun oder Unterlassen – berufen sind oder deren Handlung eine Rechtsfolge nach sich zieht. Wenn zu den hauptsächlich Betroffenen Laien gehören, muss bei der Formulierung der Regelung besonders auf Allgemeinverständlichkeit geachtet werden.

      Bei Rechtsvorschriften, die sich überwiegend an fachlich vorgebildete Adressaten richten (z. B. das Abfallverbringungsgesetz an Abfallentsorgungsbetriebe, das Weingesetz an die Winzer), darf davon ausgegangen werden, dass diese Adressaten die jeweilige Fachsprache beherrschen und über das notwendige Fachwissen verfügen, um die Regelungen zu verstehen.

    • Eine Rechtsvorschrift soll so gegliedert sein, dass eine inhaltliche Orientierung leicht möglich ist. Das betrifft Bezüge zwischen rechtsförmlichen Gliederungseinheiten (Abschnitt, Paragraf, Absatz usw.) ebenso wie sprachliche Bezüge zwischen Satzgliedern und anderen Textelementen sowie treffende Überschriften.

    • Möglichst einfache Formulierungen sowie klare Beziehungen zwischen den verschiedenen Satz- und Textelementen lassen den Regelungsgehalt deutlich hervortreten und ermöglichen eine gute inhaltliche Orientierung in einem Gesetz oder einer Rechtsverordnung.

      Unnötig komplizierte Formulierungen erfordern unnötigerweise mehrfaches Lesen und sollen daher vermieden werden. Dies ist durch verschiedene sprachliche Mittel erreichbar, z. B. durch einen klaren Satzbau (Rn. 280), durch strukturelle Orientierungshilfen (Rn. 378) und begriffliche Einheitlichkeit (Rn. 257 und 259) sowie durch die Wahl gebräuchlicher und treffender Wörter (Rn. 300 ff.).

    • Jede Regelung ist im Zusammenhang mit gleichrangigem sowie mit über- und untergeordnetem Recht zu sehen. Daher ist es wichtig, dass Zusammenhänge zwischen den einzelnen Normen erkennbar sind.

      In Rechtsvorschriften zeigen sich diese Zusammenhänge im Gebrauch hierarchisch geordneter rechtsförmlicher Gliederungseinheiten (Rn. 387 ff.), im Gebrauch von Verweisungen (Rn. 276 ff.) sowie in den Eingangsformeln zu Rechtsverordnungen (Rn. 634 ff.) und im Zitiergebot bei der Einschränkung von Grundrechten (Rn. 426 ff.).

    • Die rechtsförmliche Struktur einer Norm sollte der Struktur des Regelungsgedankens entsprechen (Rn. 264).

      Rechtsförmlich korrekte Gliederung und Verknüpfung der Normen und ihr Platz innerhalb der Struktur einer Rechtsvorschrift sind ein Schlüssel für das Verstehen und für die Anwendung der einzelnen Normen und der Rechtsvorschrift insgesamt.

      Die rechtsförmliche Struktur einer Rechtsvorschrift bedient Erwartungen an den Text einer Rechtsvorschrift (insbesondere fachliche und juristische) und erleichtert – sinnvoll eingesetzt – das (Wieder-)Auffinden einer Norm.

      Außerdem ermöglicht eine sinnvolle Struktur eindeutige Bezugnahmen auf einzelne Regelungen. Rechtsförmlich korrekte Verknüpfungen, wie etwa durch Verweisungen und die Verwendung legaldefinierter Begriffe, können gut dokumentiert und in juristischen Datenbanken recherchiert werden (Rn. 276 ff.).

    • Auf jede Formulierung in einer Rechtsvorschrift muss mit den rechtsförmlich vorgesehenen Mitteln eindeutig Bezug genommen werden können.

      Damit bei der Zitierung einer Regelung klar ist, welcher Teil bzw. Aspekt der Regelung gemeint ist, müssen die rechtsförmlichen Vorgaben für die Bildung der Gliederungseinheiten beachtet werden (Rn. 372 ff., 456 ff.).

    • Regelungen müssen so formuliert sein, dass sie zweifelsfrei dokumentiert und in Datenbanken recherchiert werden können. Das betrifft auch ihre Änderungen sowie ihr Verhältnis zu anderen Regelungen.

      Eine schlüssige Dokumentation verkündeter Gesetze und Rechtsverordnungen einschließlich ihrer Veränderungen wird ermöglicht durch die ausschließliche Verwendung rechtsförmlich vorgegebener Gliederungseinheiten (Rn. 377 und 387 ff.) und Überschriften (z. B. Verordnungsermächtigung, Übergangsregelung), die klare Regelung der Geltungszeit (Rn. 147 ff.), die Einhaltung der Zitierregeln (Rn. 55 ff.), die Verweisungstechnik (Rn. 98 ff.) sowie die richtige Verwendung der Änderungstechnik (Rn. 456 ff.). Eine möglichst genaue Dokumentation erleichtert es, im Bestand des verkündeten Rechts diejenigen Regelungen aufzufinden, die für einen bestimmten Sachverhalt anzuwenden sind oder die Gegenstand von Rechtsänderungen sein sollen.

    • Rechtsnormen müssen inhaltlich bestimmt und auch in sprachlicher Hinsicht unmissverständlich sein. Gleichzeitig müssen Rechtsvorschriften der Vielfalt von möglichen Anwendungsfällen gerecht werden; sie werden daher abstrakt formuliert. Je nach gewählter Abstraktionsebene enthalten die Regelungen sprachliche Elemente zum Ausdruck von Bestimmtheit (wie z. B. Legaldefinitionen und Begriffsbestimmungen) bzw. zum Ausdruck von gewollter Unbestimmtheit wie etwa Vagheit durch unbestimmte Rechtsbegriffe. Jede Vagheit muss in der Rechtsanwendung für den Einzelfall geklärt werden, deshalb müssen diese sprachlichen Elemente mit Bedacht eingesetzt werden. Sie ermöglichen es aber andererseits, Konkretisierungen der niederrangigeren Rechtsetzung bzw. die Klärung von Zweifelsfragen der Rechtsprechung bewusst zu überlassen.

    • Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ist auch mit Blick auf die verschiedenen Adressatenkreise sorgfältig zu bedenken.

      Unbestimmte Rechtsbegriffe innerhalb einer Rechtsnorm sind – im Idealfall bewusst gewählte – Elemente zum Ausdruck von Vagheit, die jedoch für Laien eine potentielle Verständnishürde darstellen. Was z. B. dem „Kindeswohl“ entspricht, ob eine Handlung „grob fahrlässig“ oder ob eine Frist „angemessen“ ist, erscheint dem Laien ebenso ungenau wie die Voraussetzung in einer Regelung, dass für einen bestimmten Anspruch ein „Härtefall“ vorliegen müsse (vgl. auch Rn. 243, 305).

      Der Normgeber muss sich bei der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe darüber im Klaren sein, dass er ihre Auslegung im Einzelfall den Rechtsanwendern überlässt.

      Praxistipp

      Ein unbestimmter Rechtsbegriff kann durch eine beispielhafte Aufzählung (Rn. 293) verständlicher werden. Diese Aufzählung von beispielhaften Fällen wird durch „…, insbesondere …“ oder „dazu gehören …“ eingeleitet und macht den unbestimmten Rechtsbegriff so etwas weniger unbestimmt. Dies ist besonders für Laien hilfreich, stützt aber zugleich auch das Expertenverständnis, da die Aufzählung eine Orientierung für weitere in Frage kommende Anwendungsfälle gibt.

      Erweiterte Möglichkeiten bietet die Begründung des Entwurfs der Rechtsvorschrift: Werden dort typische Anwendungsfälle und Beispiele erläutert bzw. verschiedene Fallgruppen voneinander abgegrenzt, so hilft auch dies dabei, eine Regelung mit unbestimmten Rechtsbegriffen auszulegen.

    • In Rechtsvorschriften signalisiert sprachliche Gleichheit inhaltliche Gleichheit bzw. signalisiert sprachliche Ungleichheit auch inhaltliche Ungleichheit. Eine konsistente Verwendung von Begriffen, Ausdrücken und sonstigen Formulierungen trägt wesentlich zu Verständlichkeit und Rechtssicherheit bei. Daher werden Formulierungen in Rechtsvorschriften nicht aus Stilgründen variiert. Vielmehr sollten inhaltlich ähnliche Einzelnormen oder solche mit ähnlicher Funktion (z. B. Verordnungsermächtigungen oder Übergangsbestimmungen) auch sprachlich parallele Strukturen aufweisen.

    • Die Beachtung rechtsförmlicher Vorgaben zu Gliederung, Formulierungen und Schreibweisen trägt zur Einheitlichkeit des Bundesrechts bei. Mithilfe dieser Vorgaben werden Rechtsvorschriften in ihrer Form und sprachlich standardisiert. Das wiederum ermöglicht es, sich innerhalb einer Rechtsvorschrift zu orientieren, einzelne Regelungen zu zitieren und Bezugnahmen auf andere Rechtsvorschriften nachzuvollziehen. Der richtige Gebrauch rechtsförmlich vorgegebener sprachlicher Mittel wirkt sich positiv auf die Verständlichkeit aus. (Siehe auch Rn. 257.)

    • Begriffe, Ausdrücke und Formulierungen sollen zumindest innerhalb desselben Rechtsgebiets einheitlich verwendet werden. Daher sind wesentliche Begriffe bzw. Ausdrücke eines Entwurfs darauf zu prüfen, ob bzw. wie sie in diesem Rechtsgebiet bisher verwendet werden und ob sie sogar schon definiert worden sind (siehe Rn. 267 ff., 304).

    • Eine Regelung darf keine Verstöße gegen Regeln der Rechtschreibung, Grammatik und Semantik enthalten (Rn. 324 f.).

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