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Handbuch der Rechtsförmlichkeit

Teil C Stammgesetze

    • Nach Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes muss ein Gesetz, das ein Grundrecht einschränkt, auf dieses Grundrecht unter Angabe des Artikels hinweisen. Das Zitiergebot dient dazu, dass der Gesetzgeber sich über die Auswirkungen seiner Regelungen für die betroffenen Grundrechte im Klaren ist und die Grundrechtseinschränkung kenntlich macht (Warn- und Besinnungsfunktion). Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das Zitiergebot ist die Nichtigkeit der Regelung, die das Grundrecht einschränken soll. Eine Heilung lässt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu.

    • Das Zitiergebot gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur bei einer (bewussten) Einschränkung (also bei einem finalen oder in Kauf genommenen Eingriff in die Abwehrfunktion des Grundrechts) und nur bei Grundrechten, die aufgrund einer ausdrücklichen Ermächtigung durch den Gesetzgeber eingeschränkt werden dürfen, also aufgrund einer der folgenden Bestimmungen:

      • Artikel 2 Absatz 2 Satz 3 des Grundgesetzes (Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person),
      • Artikel 6 Absatz 3 des Grundgesetzes (Verbot der Trennung des Kindes von der Familie),
      • Artikel 8 Absatz 2 des Grundgesetzes (Versammlungsfreiheit),
      • Artikel 10 Absatz 2 des Grundgesetzes (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis),
      • Artikel 11 Absatz 2 des Grundgesetzes (Freizügigkeit),
      • Artikel 12 Absatz 2 und 3 des Grundgesetzes (Verbot von Arbeitszwang und Zwangsarbeit),
      • Artikel 13 Absatz 2 bis 5 und Absatz 7 des Grundgesetzes (Unverletzlichkeit der Wohnung),
      • Artikel 16 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes (Verbot von Ausbürgerung bzw. Auslieferung).
    • Das Zitiergebot gilt nicht in folgenden Fällen:

      1. bei grundrechtsrelevanten Regelungen, mit denen der Gesetzgeber im Grundgesetz vorgesehene Regelungsaufträge, Inhaltsbestimmungen oder Schrankenziehungen vornimmt:
        1. Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes (freie Entfaltung der Persönlichkeit),
        2. Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes (Meinungs-, Informations-, Presse- und Rundfunkfreiheit),
        3. Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes (Schutz von Ehe und Familie),
        4. Artikel 9 Absatz 1 und 3 des Grundgesetzes (Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit),
        5. Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes (Berufsfreiheit),
        6. Artikel 14 des Grundgesetzes (Eigentum und Erbrecht),
        7. Artikel 16a des Grundgesetzes (Asylrecht),
        8. Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes (Anspruch auf Rechtsschutz);
      2. bei der Konkretisierung verfassungsimmanenter Schranken von vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten (z. B. Artikel 4 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes, Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes, Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes, Artikel 17 des Grundgesetzes);
      3. bei Gleichheitsgrundrechten (z. B. Artikel 3 des Grundgesetzes);
      4. bei grundrechtsgleichen Rechten (Artikel 33 Absatz 5, Artikel 38, 101, 103 und 104 sowie Artikel 140 des Grundgesetzes, letzterer in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 3 der Weimarer Reichsverfassung);
      5. bei offensichtlichen Grundrechtseinschränkungen (z. B. wird bei Strafvorschriften Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes nicht zitiert, da es offenkundig und dem Gesetzgeber ohne Weiteres bewusst ist, dass eine Freiheitsstrafe die Freiheit der Person einschränkt);
      6. bei bloß wiederholender Einschränkung eines Grundrechts; wenn allerdings der bereits zitierte zugelassene Grundrechtseingriff vertieft oder der Kreis der betroffenen Personen ausgeweitet wird oder neue Sachverhalte mit anderer Zielrichtung erfasst werden, ist die Zitierung wieder erforderlich.
    • Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes verlangt, das Grundrecht, das eingeschränkt werden soll, unter Angabe des Artikels im Gesetzestext zu nennen. Ein bloßer Hinweis in der Gesetzesbegründung ist unzureichend. Bei Grundgesetzartikeln, die mehrere einschränkbare Grundrechte enthalten, soll das Grundrecht so genau wie möglich bezeichnet werden.

      Zur Wahrung des Zitiergebots bei Grundrechtseinschränkungen in einem Änderungsgesetz vergleiche Rn. 556 f.

    • Für den Hinweis auf Grundrechtseinschränkungen kommen verschiedene Standorte im Gesetz in Betracht.

      1. Unmittelbar nach der einschränkenden Regelung
        Der Hinweis auf die Grundrechtseinschränkung sollte grundsätzlich unmittelbar nach der einschränkenden Regelung stehen.

        Beispiel:

        Zur strompolizeilichen Überwachung der Bundeswasserstraßen dürfen Beauftragte der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung Grundstücke, Anlagen und Einrichtungen sowie Wasserfahrzeuge betreten. Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt.

      2. In einem Paragrafen gebündelt
        Die Hinweise auf grundrechtseinschränkende Vorschriften des Gesetzes sollen nur dann in einem Paragrafen unter der Überschrift „Einschränkung eines Grundrechts“ gebündelt werden, wenn solche Hinweise an vielen Stellen des Gesetzestextes jeweils unmittelbar nach der einschränkenden Regelung erforderlich wären, d. h., wenn dasselbe Grundrecht durch verschiedene Vorschriften eingeschränkt wird.
        Bei Einschränkung mehrerer Grundrechte kann der Hinweis darauf ebenfalls in einem Paragrafen gebündelt werden. In diesem Fall lautet die Überschrift „Einschränkung von Grundrechten“.
        In beiden Fällen ist jeweils die Regelung zu benennen, durch die das Grundrecht einschränkt wird.

        Beispiel:

        § 8
        Einschränkung eines Grundrechts

        Das Fernmeldegeheimnis (Artikel 10 Absatz 1 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des § 6 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 und 5 und Absatz 3 sowie des § 7 Absatz 1 bis 4 eingeschränkt.

      Im Hinblick auf die Warn- und Besinnungsfunktion sind pauschale Formulierungen wie etwa „Die Grundrechte ... werden nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt“ zu vermeiden. Vielmehr sind die einzelnen Vorschriften des Gesetzes, die Grundrechte einschränken, konkret zu benennen.

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